Montag, 2. Januar 2006

Weltwissen der Siebenjährigen

Beim Suchen nach interessanten Dingen, die zu unserer Seite passen könnten, bin ich in dem Regal meiner Schwester auf ein - wie ich finde - ganz interessantes Buch namens "Weltwissen der Siebenjährigen - Wie Kinder die Welt entdecken können" (Goldmann Verlag) gestoßen. Darin beschreibt die Autorin Donata Elschenbroich ihren Weg, auf dem sie versuchte zu erkunden, was ein Kind in seinen ersten sieben Lebensjahren erlebt haben sollte.

In 150 Gesprächen mit den verschiedensten Menschen, von Eltern, Pädagogen, Entwicklungspsychologen, Hirnforschern und Unternehmern über Arbeitslose, Verkäufer und den Direktor eines Altersheims bis Teenager, Großelten und Studenten, stellte sie ein Panorama dessen zusammen, was Siebenjährige können bzw. erfahren haben sollten. Diese Liste soll nicht als Checkliste verstanden werden, sondern eher unter den Aspekten Bildungsangelegenheiten, Anregungen, Erfahrungen, Abmahnungen und Fragen gelesen werden.

Da ich diese Auflistung durch ihre Vielfältigkeit sehr interessant und inspirierend fand, werde ich sie euch hier mal hinschreiben. Sie betrifft nicht direkt die Kindergärten, aber ich denke, dass einige dieser Erfahrungen von den Kindern auch im Kindergarten gemacht werden.
Ich bin gespannt auf eure Kommentare!
  • die eigene Anwesenheit als positiven Beitrag erlebt haben. "Wenn du nicht wärst...", "Da hast du uns gefehlt..."
  • gewinnen wollen und verlieren können
  • wissen, was "schlecht drauf sein" bedeutet. Hunger nicht mit Ärger verwechseln, Müdigkeit nicht mit Traurigkeit, elemamtare Psychosomatische Zusammenhänge ahnen
  • einem Erwachsenen eine ungerechte Strafe verziehen haben
  • Bilder für seelische Bewegungen kennen. "Wie wenn ein Luftballon platzt...", "ein Fass überläuft"
  • eine Erinnerung daran haben, dass ein eigener Lernfortschritt in anderen Behagen auslöste
  • den Vater beim Rasieren zugeschaut haben
  • mit dem Vater gekocht, geputzt, Betten bezogen, gewerkelt, ganze Tage verbracht zu haben. Von ihm während einer Krankheit gepflegt worden sein
  • die Erfahrung machen können, dass Wasser den Körper trägt
  • schaukeln können: Was tut mein Körper mit der Schaukel, was tut die Schaukel mit meinem Körper
  • eine Kissenschlacht gemacht zu haben
  • einen Schneemann gebaut zu haben. Eine Sandburg, Einen Damm im Bach. Ein Feuer im Freien anzünden und löschen können. Windlicht, Windrad erproben
  • Butter machen. Sahne schlagen. (Elementare Küchenchemie, Küchenphysik kennen: Schimmel, schädlicher und pikanter. Rühren, schnipseln, schälen, kneten, durchs Sieb passieren. Knusprig/angeprannt, roh/gekocht, versalzen/"eine Prise")
  • Reise: die Familie, die Eltern in einer anderen Umgebung wahrnehmen. Den Gegensatz Komfort/Reisen erleben. Zu Hause/unterwegs. Erste Konzepte von Heimweh, Migration, "Herberge", Obdachlosigkeit
  • in einer anderen Familie übernachten. Mit anderen Familienkulturen, Codes in Berührung kommen. Einen Familienbrauch kennen, der nur in der eingenen Familie gilt
  • wer gehört zur "weiteren Familie": unterschiedliche Verwandschaftsbeziehungen kennen
  • spenden. Dem Bettler in den Hut, in den Geigenkasten, in eine Sammelbüchse
  • die Erfahrung, dass ein Verbesserungsvorschlag in die Tat umgesetzt wurde. Eine Erinnerung: Ich als die Weltverbesserin, der Weltverbesserer
  • elementare Krankenpflege: hochlagern, Eis oder Wärme?, Atmen, "Schmerz annehmen", Ruhe oder Bewegung?, Handberührung tut gut, wo?, erste Massage Handgriffe. Sich ausruhen können. Was ist Gänsehaut? Stolz auf überwundene Krankheiten und "Krankheit gehört zum Leben"
  • das Märchen vom Holzlöffel kennen und andeere elemantare Stoffe/Gleichnisse von Aussetzung und Geborgenheit
  • Wunderkammer Museum: die Botschaft der Dinge. Ihre Aura, ihr Atem, ihr Fortbestehen nach unserem Tod. Eine Burg kennen. Ein Gefühl haben dafür, dass sich die Welt verändert. Dass die Großmutter anders aufgewachsen ist. Ein Ding aussondern zum Behalten oder Weitergeben, an die eigenen Kinder
  • eine Sammlung angelegt haben (wollen)
  • eine Ahnung von der Welträumigkeit, von anderen Kontinenten haben
  • den Unterschied zwischen Essen und Mahl wahrnehmen, Bewegung und Gebärde. Geruch und Duft. Geräusch und Klang. Sehen, blicken, schauen. Gehen, schreiten,...
  • Notfalltelefonnummer kennen. Hilfssysteme, Wächtersysteme. Es gibt ein Kindernotruftelefon
  • ein Geheimnis für sich behalten können. "Nur du und ich", "es bleibt unter uns", diesen Wunsch kennen
  • die Erinnerung an ein gehaltenes Versprechen
  • die Erfahrung, dass eingene Interessen delegiert, durch andere geregelt, vertreten werden können
  • eine Methode des Konsevierens gegen Verfall kennen. Etwas repariert haben, und die Frage beim Kaufen wichtig finden: Kann man das reparieren?
  • den Unterschied zwischen Markt und Supermarkt kennen
  • seinem Alter voraus gewesen sein. Einem Erwachsenen etwas erklärt haben
  • mit einem Erwachsenen eine ungeklärte Frage geteilt haben ("das weiß niemand")
  • auf einen Baum geklettert sein
  • in einen Bach gefallen sein
  • gasät und geerntet haben
  • einen Reißverschluss, einen Klettverschluss unterschucht haben. Mit Riegeln, Schlüsseln umgehen können. Sich nicht aus Versehen einschließen.
  • Geräte anschließen und umstecken können (Rekorder...)
  • typisches Jungen- und Mädchenspielzeug kennen. Nach der eigenen Meinung gefragt worden sein
  • sich selbst schön machen wollen, Stilgefühl, "dieser Pullover steht mir nicht"
  • eine Botschaft geschrieben haben, von einer schriftlichen Botschaft getröstet, erwartungsvoll geworden sein. Eine e-mail empfangen oder gesendet haben
  • wie sieht der eigene Name in Sand geschrieben aus? Im Schnee, auf dem Waldboden, an der beschlagenen Fensterscheibe?
  • die Spannung oder Vorfreude empfunden haben, die von einem unbeschriebenen, unbemalten Blatt ausgehen kann
  • ein Buch von Deckel zu Deckel "kennen", wie auch immer
  • der blaue Schatten - auf einem Gemälde, in der Winterlanschaft
  • heute habe ich geträumt...
  • in einem Streit vermittelt haben. Einem Streit aus dem Weg gegangen sein
  • Ich, ein Ankunftswesen: die Monate und Wochen vor der Geburt - phantasiert, "erinnert"
  • eine Frucht bewusst geschält, "freigelegt", einen Kern gespalten haben
  • die Adern des Blattes und die Adern der eigenen Hand studieren
  • Obstsorten, und wie sie sich im Duft unterscheiden. Drei Lieblingsdüfte
  • die eigene Singstimme finden. Den eigenen Namen gesungen haben. Vogelstimmen, Tierstimmen imitieren können. Kanon singen - Verwirrspiel und Ordnungserlebnis. Einen Dialog auf Instrumenten (Duett) inszinieren, ein Echo hören, auslösen. Diesen Rhythmus spüre ich in den Füßen und bei dieser Lautstärke ist meine Schmerzgrenze erreicht!
  • die eigene Kraft dosieren können (beim Trommeln, beim Massieren)
  • Flüche, Schimpfwörter kennen (in zwei Sprachen). Eine Ahnung von Stilebenen, Sprachkonventionen haben, wo sagt man was
  • einen Nagel einschlagen, einen Schraube eindrehen, eine Batterie auswechseln können
  • eine Nachricht am Telefon aufnehmen, behalten und ausrichten können
  • sich bücken, wenn einem anderen etwas runtergefallen ist
  • ausreden lassen. W§issen, was das ist. Warten können: die Warteschlange
  • wissen, dass nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen
  • gewandert sein: den Unterschied zwischen laufen, gehen und wandern kennen. Die Erfahrung der Strecke, der Durctstrecken. Ein "Ziel vor Augen"
  • einige Blattformen kennen, wissen, was man in der Natur essen kann und was nicht
  • die Natur als Freund und als Feind erlebt haben. Als empfindlich, beschützenswürdig. Und als stärker, gefährlich
  • über Regeln verhandelt aheben. Eine Regel verändert haben. Mit dem Begriff "Ausnahme" etwas verbinden
  • >Mengen in Maßeinheiten erlebt haben. Z.B. drei Liter = drei Milchflaschen voll... Einen Raum mit dem eigenen Körper ausgemessen haben
  • Reflexion: was kann ich, was kann der Computer? Erste Konzepte von Intelligenz, menschliche, künstliche "Intelligenzen"
  • Schein-und-Sein-Experimente. Hinter dem "Nichts" im Glas verbirgt sich was
  • Erfahrungen mit einem Experiment (geregelte Versuchsanordnung) und mit Üben (systematisches Wiederholen von Abläufen)
  • die Farbe der eigenen Augen kennen, ein Selbstportrait gemalt haben
  • den eigenen Pulsschlag gefühlt haben, und den von Freund und Tier
  • einem Meister, einer Expertin, einem Könner begegnet sein. Neben ihm oder ihr gearbeitet haben ("Mentor")
  • Stolz empfunden haben, "ein Kind" zu sein. Nur Kind.
Auch ich habe die meisten dieser Erfahrungen gemacht, an einige kann ich mich sogar noch genau erinnern. Andere habe ich wiederum nicht machen dürfen, z.B. kenne ich das Märchen vom Holzlöffel nich oder habe kein blaue Schatten gesehen (jedenfalls weiß ich noch heute nicht, was genau das sein soll).
Jedenfalls finde ich, dass so banal viele dieser Erfahrungen auch klingen, sie wahrscheinlich unheimlich wichtig sind um als eigenständiger, selbstbewusster und sozialer Mensch durch sein späteren Leben zu gehen.
Was denkt ihr?
Kerstinb - 2. Jan, 14:43

Ein power-Beitrag!

also das ist ja wohl der bis jetzt längeste Beitrag, den ich überhaupt gelesen habe!!und echt interessant! also ich kann sagen, dass ich mit sieben bestimmt einige der aufgezählten Erfahrungen kannte, aber längst nicht alle, das Märchen mit dem Holzlöffel kenn ich zu Beispiel auch nicht und ich hab auch noch nie mit meinem Vater etwas gekocht. Aber ich weiß noch genau, wie komisch es immer war, wenn man woanders übernachtet hat. Es gab immer eine andere Platzverteilung am Tisch als zu hause und auch das Essen war nie so, wie gewohnt und es hat auch immer ganz anders gerochen. Aber die Freunde, die ich schon länger hatte, bei denen fühlte ich mich ab irgendwann wir zu Hause. Dann ist man immer gaaanz lang auf geblieben und hat Mist gemacht und nur gelacht. Woran ich mich auch noch erinnern kann ist, das es irgendwann blöd war, wenn Mami immer die Klamotten für den nächsten Tag rausgelegt hat, ab da hat man dann wohl tatsächlich seinen eigenen Geschmack entwickelt. Naja, wenn ich mir allerdings die Fotos von früher angucke, denk ich manchmal, meine Mutter hätte doch öffter mal bei meiner Klamotten Wahl widersprechen sollen..hihi!!

mareked - 15. Feb, 22:26

Schade

Schade, dass ich erst heute, ein paar Tage nach Ende des laufenden Semesterbetriebes, auf deinen weblog gestoßen bin. Ich finde ihn erstens sehr interessant, zweitens gut gemacht und drittens widerlegt er mein Vorurteil, dass diese ganze webloggerei eher inhaltsarm und "scheinverlockend" abläuft.
Aber als alleinerziehende Studentin hatte ich einfach zu wenig Zeit, um einfach mal ein bisschen zu stöbern - und deshalb freue ich mich jetzt doch über diese virtuelle Zufallsbekanntschaft zu guter Letzt mit deinen Arbeiten. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich deinem Projekt gerne den Flensburger Waldorfkindergarten gegenüber stellen, in den mein SOhn geht und der mich ganz wunderbar studieren lässt, weil ich ihn, also meinen Sohn, dort so wunderbar betreut weiß.
Viel Spaß weiterhin beim Studieren, konkret, virtuell und überhaupt!
Mareke

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